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Ein Teufelskreis

(...)
Ich befürchte eine Änderung meines Lebens, Herr Rind, nein, vielmehr befürchte ich, daß ich eine Änderung meines Lebens fürchte. Vielleicht muß ich zur Erklärung meiner Ihnen eventuell seltsam erscheinenden Worte ein wenig ausholen.
Stimmen Sie, werter Herr Rind, nicht auch mit mir darin überein, daß der Mensch an sich durchaus zu Überlegungen hinsichtlich seines Lebens in der Lage ist? Natürlich tun Sie das; eine dumme Frage. Aber was sind es für Überlegungen, die der Mensch bezüglich seines Lebens anstellt. Sicherlich denkt der Mensch über seine Vergangenheit nach. Er versucht sie zu deuten und zieht aus gemachten Erfahrungen, seien sie nun positiv oder negativ, seine Konsequenzen; er zieht Schlüsse aus diesen Erfahrungen, stellt Gleichungen auf und erkennt Resultate, die, insofern er dazu in der Lage, im weiteren Dahinschreiten seines Lebens umgesetzt werden.
Ich denke, Herr Rind, bis hierhin sind wir, ich müßte mich schon sehr täuschen, einer Meinung.
Kommen wir also zu dem Thema, worüber der Mensch stets sehr intensiv nachdenkt, die Gegenwart. Die momentane Situation ist immer schon wichtig im Leben eines Menschen gewesen. Die Gedanken schweifen in enormer Intensität um die Bewerkstelligung des Alltags, oder in neuerer Zeit auch immer mehr, teilweise schon Überhand nehmend, um die Gestaltung der Freizeit. Im Grunde liegen diese Überlegungen durch die gesamte Lebenspanne hindurch im Vordergrund, dabei sind sie für den Verlauf des Lebens insgesamt die unwichtigsten. Womit ich diesen Teil auch abschließen möchte.
Was aber ist mit der Zukunft? - Ihr widmen wir voll Träumerei und phantastischer Ideen einen Großteil unserer Gedanken. Und das ist auch gut. Aber denken Sie nicht auch, Herr Rind, und dies ist in der Tat eine Frage die ich mir stelle, daß es, trotz großspuriger Gedanken über die Zukunft, teilweise an der nötigen Umsetzung bei stattfindender Transformation der Zukunft in die Gegenwart fehlt? Ich gebe zu, ich ziehe hier Schlüsse aus meinem eigenen Leben, jedoch, ist es nicht die beste Beobachtungsmöglichkeit für mich? Nun gut, um nicht Urteile zu fällen über andere, schreibe ich fortan nur noch über mich selbst.
Jetzt ist es soweit, werter Herr Rind, ich habe den Faden verloren. Geben Sie mir einen Moment, ihn wiederzufinden. Ah, ja. Die Überlegung oder vielmehr Feststellung war folgende: Es mangelt an Umsetzung der Zukunftsplanung in die sich anschließend ergebende Realität. Warum? - Hierauf eine Antwort zu finden ist das Hauptanliegen meines Schreibens. Sicher ist es mir nicht angenehm, Sie mit derart persönlichen Problemen zu belästigen, jedoch habe ich Sie stets als einen guten Freund und Genossen empfunden, der mir im Laufe der vielen Jahre, die wir uns kennen, so sehr ans Herz gewachsen ist, daß es mir doch leichter fällt als gedacht, einen Rat bei Ihnen einzuholen. Doch Schluß mit der Gefühlsduselei, Herr Rind. Sie, der Sie ja eher als knurriges Rauhbein zu Ruhm und Ehre gelangt sind, wobei ich Ihnen hiermit nicht zu nahe treten möchte, hege ich doch solch tiefe Wertschätzung für Sie und Ihre Meinung, werden wahrscheinlich schon müde ob dieser Geschichte. Also bemühe ich mich es kurz zu halten.
Ich frage mich also, an obigen Gedanken anknüpfend, ob in mir eine subtile Angst vor einer glücklichen Zukunft schlummert, die mir ja schließlich meine, mich doch bisher ganz gut schützende Leidenshülle nehmen würde. Ich denke dabei an die Leichtigkeit der bewußten Trauer über all das Schlechte im eigenen Leben.
Wobei, es ist so leicht nun auch nicht. Über allem dämmert der Gedanke der eigenen Verantwortung. Der jedoch, und das ist das Dumme, Herr Rind, treibt einen nur noch mehr dazu, sich in der selbst erschaffenen Hölle zu suhlen. Denn man ist sich bewußt, über die eigene Schuld, und hätte daher noch mehr Grund sich selbst zu befreien, also auch noch mehr Grund darüber zu klagen, daß man es nicht endlich tut.

Ich merke, ich versinke schon wieder in Mitleid über mein persönliches Schicksal. Am Besten wird es sein, Sie vergessen diese ganze Geschichte, werter Herr Rind, und belasten sich nicht weiter mit meinen Problemen. Es ist bereits sehr spät und meine Sinne sind getrübt von Alkohol und Müdigkeit.
Ich wünsche Ihnen nur das Beste, lieber Herr Rind, wobei ich mir über die Abruptheit dieses Endes im klaren bin, und schöne Grüße auch an die werte Frau Gemahlin.

(Suppja Suppanowitsch Suppanikow)